Rekonstruieren und entschlüsseln

Ein Puzzle aus Fragmenten

Ein Puzzle aus Fragmenten

Die Humboldt Fragmente waren ursprünglich fast alle Bestandteile größerer Handschriften, die meisten gehörten zu Codices in Leporellofaltung. Vieles davon ist heute verschollen oder über verschiedene Länder verteilt. Einiges konnte über heutige Ländergrenzen hinweg rekonstruiert werden.

Im Folgenden wird an der Auswahl einiger Fragmente gezeigt, wie das Puzzle der Handschriften Fragment für Fragment zusammengesetzt wurde:


  • Codex Humboldt Fragment I und sein Gegenstück in Mexiko

  • Die Humboldt Fragmente IX bis XII in der richtigen Abfolge XI-XII-IX-X

  • Das Humboldt Fragment XIV und ein Tributverzeichnis in der Französischen Nationalbibliothek

Berlin trifft Azoyú in Mexiko


Das Tributregister aus der Aztekenzeit

Dieses Leporello ist ein Verzeichnis der Provinz Tlapa mit Tributen an die Azteken. Es ist schon für sich alleine von beeindruckender Länge. Doch muss man diese mindestens verdoppeln, wenn man den Codex Azoyú 2 verso dazulegt. Dieser Faltkodex wurde 1940 im gleichnamigen Ort in Mexiko entdeckt. Er stellt den Anfang des Tributverzeichnisses dar.

Leider ist auch der Codex Azoyú 2 nicht vollständig, sondern wurde im 18. Jahrhundert in mehrere Teile zerschnitten. Der überlieferte Teil des Codex‘ beginnt mit der Vertragsschließung zwischen Tlapa und den Azteken über die Tributzahlungen aus dem Jahr 1487.


Der Codex in typischer Leporellofaltung ist von unten nach oben und von rechts nach links zu lesen. Um den Codex nach aztekischer Art zu lesen, beginnen Sie direkt unten.


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Schon im vorherigen Tributmonat Panquetzaliztli sind keine Tribute an die Azteken gezahlt worden, da Tlapa schon erobert worden ist.

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Es kommen keine Tribute mehr. Dass schon im Sommer davor auch die Azteken erobert worden sind, war inzwischen sicher auch im abgelegenen Tlapa bekannt, dessen Tribute jetzt an die neuen Herren gingen.

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Es ist der Monat Tlacaxipehualiztli.

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Ein aztekischer Verwalter ist gekommen und fordert Tribute.

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Jahr vier Hirsch (= 1522)

Die Spalten für die Jahre und Tributmonate sind schon vorab ausgefüllt worden. Tribute wurden nicht mehr eingetragen.

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Monat Panquetzaliztli

Hier endet das Tributverzeichnis


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Die Eroberung des Hauptortes von Tlapa durch die Spanier wird durch Pfeile angezeigt, die in der Ortshieroglyphe stecken. Nähere Erklärung finden Sie an der Hieroglyphenwand.

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Jahr drei Wind (= 1521)


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Jahr 14 Drehgras (= 1519)

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Ein aztekischer Tributeinnehmer kümmert sich nach dem Tod von Tilma um die Abgaben. Seine Namenshieroglyphe ist eine Opuntie. Er könnte also Nochtli [Notsch-tli] geheißen haben.

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Ein neuer aztekischer Verwalter ist eingetroffen. Seine Hieroglyphe ist eine Jadescheibe, somit hieß er wohl Chalchuhuitl. Er trägt dieselben Insignien wie sein Vorgänger: eine Stola mit Federquasten und einen goldenen Schmetterling.

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Monat Ochpaniztli

In diesem Monat kam Chalchuhuitl in Tlapa an.

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Jahr zwei Bewegung (= 1520)


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Jahr 13 Hirsch (= 1518)

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Der aztekische Verwalter Tilma ist gestorben. Sein Totenbündel ist mit seiner Stola und der Namenshieroglyphe an seinem Hinterkopf, einem Tuch, abgebildet.

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Monat Tlacaxipehualiztli

In diesem Monat wird der Tod von Tilma verkündet.


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Der Herrscher von Tlapa ist gestorben. Sein Tod wird durch das verschnürte weite Totenbündel und der Namenshieroglyphe dargestellt, ein Xilote-Maiskolben.

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Monat Tlacaxipehualiztli

In diesem Monat wurde der Tod des tlapanekischen Herrschers verkündet.

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Jahr 12 Wind (= 1517)

Der neue Herrscher von Tlapa besteigt den Thron. Sein Name wird über seinem Kopf angegeben: Flamme.


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Jahr elf Bewegung (= 1516)


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Jahr neun Hirsch (= 1514)

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Jahr zehn Drehgras (= 1515)

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Wieder sind die Abgaben von Tlapa gestiegen. Sie passen nun nicht mehr in die beiden Felder für die Tribute sondern füllen auch noch den freien Platz über der Hieroglyphe des Herrschers aus.

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Ein weiterer tributpflichtiger Ort wurde in die Provinz Tlapa integriert.
Der Herrscher hat die Namenshieroglyphe Hund.

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Tetenanco (bei der Steinmauer)

Der Ort heißt Tetenanco. Die Ortshieroglyphe ist eine Mauer mit Zinnen.


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Jahr acht Wind (= 1513)


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Die Namenshieroglyphe des Herrschers ist ein Hirsch mit der Zahl 12. Das bedeutet, dass er an einem Tag 12 Hirsch geboren worden war und dass dieser Tag zugleich sein Name war.

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Wieder ist ein tributpflichtiger Ort dazugekommen.

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Im Jahr sieben Bewegung wurden wieder die Tribute erhöht:

drei dreieckige Goldbleche
vier rechteckige Goldbleche
zehn quadratische Goldbleche
vier Schalen mit Goldstaub
zwei Bündel gestreifte Decken

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Jahr sieben Bewegung (= 1512)

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Die Ortshieroglyphe ist eine Zacatepflanze, d.h. eine bestimmte Grasart. Wahrscheinlich hieß der Ort Zacatlan (Auf dem Zacategras).


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Ein neuer Ort, der Tribut zahlen musste, ist dazugekommen. Dies erklärt die Erhöhung der Abgaben von Tlapa.

Der Herrscher des Ortes trägt das Türkisdiadem und thront auf einem geflochtenen Sitz mit Rückenlehne; die Banderole vor seinem Mund bedeutet, dass er das Zahlen der Abgaben anordnet. Die Namenshieroglyphe an seinem Hinterkopf ist ein Jaguar.

2

Unter dem Herrscher ist die Ortshieroglyphe zu erkennen: Sie besteht aus einem Berg und dem blaugrünen Zeichen für Wasser und weist auf Atepec, Wasserberg hin.

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Ab diesem Monat werden höhere Abgaben verzeichnet. Dafür wurde ein Feld mehr benötigt, in der vierten Spalte von rechts, die bislang leer gewesen war.
Beide Tributfelder zusammen zeigen:

2 dreieckige Goldbleche
3 rechteckige Goldbleche
10 quadratische Goldbleche
3 Schalen mit Goldstaub
1 Bündel gestreifte Decken

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Monat Etzalcualiztli

Es ist der erste Monat des Jahres sechs Drehgras.

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Jahr sechs Drehgras (= 1511)


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Jahr vier Wind (= 1509)

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Jahr fünf Hirsch (= 1510)


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Monat Tlacaxipehualiztli

Es ist der vierte Tributmonat des Jahres zwei Bewegung. In diesem Monat kam der aztekische Verwalter an.

2

Ankunft des aztekischen Verwalters Tilma

Er ist als hoch dekorierter Krieger dargestellt. Die aufgebundene Frisur durfte nur tragen, wer mindestens vier feindliche Krieger gefangengenommen
hatte. Der Verwalter überbringt Forderungen. Er ist im Detail an der Hieroglyphenwand links dargestellt.

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Jahr drei Bewegung (= 1508)


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Monat Etzalcializtli

Beginn des Jahres zwei Drehgras und eines neuen Tributjahres

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Jahr zwei Drehgras (= 1507)

In Tlapa zählten die Jahre von 2 bis 14. Das unterscheidet sich vom aztekischen Kalender, der von 1 bis 13 zählte.


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Monat Ochpaniztli

Es ist der zweite Trinutmonat des Jahres 13 Wind.

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Monat Panquetzaliztli

Es ist der dritte Tributmonat des Jahres 13 Wind.

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Monat Tlacaxipehualiztli

Es ist der vierte Tributmonat des Jahres 13 Wind.

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Monat Etzalcualiztli

(Monat des Bohnenspeiseessens)

In diesem Monat begann das Jahr vierzehn Hirsch.

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Jahr vierzehn Hirsch (= 1506)


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Jahr 12 Bewegung (= 1504)

Hier beginnt der Teil des Tributregisters, das sich in Berlin befindet.

Die Zahl besteht aus den bunten Kreisen, sie ist teilweise nicht mehr lesbar und wird von den erhaltenen Jahreshieroglyphen ausgehend zurückgerechnet.

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Monat Etzalcualiztli

(Monat des Bohnenspeiseessens)

Er entspricht in etwa dem Monat Juni. In diesem Monat begann in Tlapan das Sonnenjahr. Es hatte 18 Monate mit je 20 Tagen und fünf zusätzliche Tage = 365 Tage.

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Tlapan leistete in diesem Monat folgende Abgaben:

2 dreieckige Goldbleche
2 rechteckige Goldbleche, diese waren die Grundeinheit.
5 quadratische Goldbleche
2 Schalen mit Goldstaub

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Monat Ochpaniztli

(Monat des Straßenfegens)

Er ist der zweite Tributmonat des Jahres 12 Bewegung. Die Linie, die hier quer durch das Blatt läuft, entstand beim Anfügen eines Blattes, wodurch man das Tributregister verlängerte.

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Tributmonat Panquetzaliztli


(Monat des Aufrichtens der Fahnen)

Es ist der dritte Tributmonat des Jahres.

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Monat Tlacaxipehualiztli

(Monat des Menschenschindens)

Es ist der vierte Tributmonat des Jahres.

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Jahr 13 Wind (= 1505)

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Monat Etzalcualliztli

(Monat des Bohnenspeiseessens)

In diesem Monat begann das Jahr 13 Wind. Gleichzeitig war es der erste Tributmonat des Jahres 13 Wind.


Abgabenregister, Codex Humboldt Fragment I, Tlapa, Guerrero, México, ca. 1522. SBB-PK, Manuscripta americana 2, Humboldt Fragment I. © SBB-PK

Mexiko trifft Berlin


Die zerschnittene Klageschrift

Die vier Bruchstücke müssen einst mit einem nicht mehr vorhandenen Mittelteil ein einziges Dokument gebildet haben: eine ungefähr 2,5 Meter lange Klageschrift einer unbekannten indigenen Gemeinde, in der es um  nicht beglichene Rechnungen und physische Übergriffe zur Erpressung von Leistungen durch einen Spanier geht. Als der Sammler Lorenzo Boturini diese Handschrift im 18. Jahrhundert erwarb, war sie noch vollständig, denn sie ist in einem Gerichtsinventar der Sammlung beschrieben, das aufgenommen worden war, nachdem die Behörden die Sammlung beschlagnahmt hatten.

Humboldt fand davon nur noch zwei Stücke, die er mit nach Berlin brachte, wo sie später noch einmal zerschnitten wurden. Die Analyse der Pigmente hat ihren Zusammenhang bestätigt. Wir haben ihre Reihenfolge virtuell rekonstruiert.

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60 Krüge Honig

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200 Bündel rotes Holz

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Spanier erzwingt Dienste

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Träger bringen das Holz zum Ort des Spaniers

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200 Bündel rotes Holz

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Scheiben aus gelbem Holz

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Kopf- und Seitenteile für Bettgestelle

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Träger mit Pulquekrügen

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Bretter

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25 Körbe Schweinefleisch

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Drei Balken mit einem Loch im abgerundeten Teil

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21 Latten

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Zwei Balken mit einem Loch im Kopfteil

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Träger mit Gefäßen und Messstäben

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15 Körbe mit Schweinefleisch und 1 Opuntienpflanze

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10 Körbe Schweinefleisch

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1 Reihe mit Steinen

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23 Latten

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21 abgeschrägte Holzplatten

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3 Schweine

An dieser Stelle fehlt in der Handschrift ein Fragment.

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Reste von Holzobjekten

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12 rote Holzscheiben

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6 rote rechteckige Bretter

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20 schmale Bretter oder Latten

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10 Winkelstücke oder Halbscheiben

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Zimmermann vor 24 Brettern

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6 Gestelle

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7 Lasten Steine

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200 Bündel Stäbe, Latten oder Brennholz

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15 Winkelstücke oder Halbscheiben

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Zimmermann vor 3 Balken

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2 Kopf- und 4 Seitenteile für Bettgestelle

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10 kreuzförmige Gestelle, wahrscheinlich Stühle

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Holzscheiben

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6 Bretter oder Platten

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Zimmermann mit Axt vor seiner Rechnung in Höhe von 2000 Kakaobohnen

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400 Bündel Holz

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Indigene Männer, an den Händen an Galgen aufgehängt


Die rekonstruierte Handschrift der Humboldt-Fragemente in der Reihenfolge XI, XII, IX und X.  SBB-PK, Manuscripta americana 1, Humboldt Fragmente IX-XII. © SBB-PK

Berlin trifft Paris


Die illegalen Abgaben von Tlatempan

Dieses Bruchstück des Humboldt Fragments (rechts) ist klein, gerade einmal 14,6 x 34 cm. Das Gegenstück in der Französischen Nationalbibliothek hingegen (siehe unten) misst stolze 20 x 170 cm. Beide weisen deutliche Ähnlichkeiten auf: So wechseln jeweils gelb und rot bemalte Abschnitte einander ab. Die Abgaben in Geld und Naturalien werden nahezu identisch dargestellt. Unterschiede finden sich in der Platzierung der sonst teilweise identischen Personenhieroglyphen. Außerdem ist nur die Handschrift in Paris Abschnitt für Abschnitt mit römischen Ziffern datiert. Sie sagt uns auch, worum es in der Handschrift geht: unrechtmäßige Abgaben, die der Gemeinde Tlatempan abgepresst wurden, vermutlich von der eigenen, indigenen Ortsverwaltung.






Im Vergleich zum Humboldt Fragment XIV (rechts) weist dieser Ausschnitt aus dem Tributverzeichnis von Tlatengo große Ähnlichkeiten in der Darstellung auf. Rôle des impôts de Tlatengo, 1592. Bibliothèque nationale de France. Département des Manuscrits. Mexicain 390. © Bibliothèque nationale de France

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Traglast Holz

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handschriftlicher Schriftzug Estancia de Tlatempan

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Diese Hieroglyphe für Peso besteht aus einem Kreis mit acht Teilen. Diese stehen für die acht Reales, die ein Peso hatte. Über dem Kreis ist eine Waage abgebildet. Münzen wurden oft gewogen, um ihre Echtheit festzustellen.

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400 Kakaobohnen

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Chilischoten

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Diese Hieroglyphe für Jahr steht unter jedem neuen Jahr, in dem Abgaben geleistet wurden.

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Die drei Schatzmeister des Hauptortes,
an den Tlatempan Abgaben zahlte

Die riesigen Schlüssel am hinteren Teil des Kopfes zeigen an, dass die Schatzmeister die Schlüssel zur Gemeindekasse hatten.

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gewebte Decken

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Bündel Schilfmatten

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Heu

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Gefäße mit Mais

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je 20 Kürbisschalen

Das Fähnchen oben steht für die Zahl 20.

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Hühner



Verzeichnung der Abgaben der Gemeinde Tlatempan. SBB-PK, Manuscripta americana 1, Humboldt Fragment XIV. © SBB-PK



Vorder- und Rückseite des gesamten Tributverzeichnisses von Tlatengo. Rôle des impôts de Tlatengo, 1592. Bibliothèque nationale de France. Département des Manuscrits. Mexicain 390. © Bibliothèque nationale de France