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Schillernder Gelehrter und eine Sammlung von Weltrang

Heinrich Friedrich von Diez


Porträt von Heinrich Friedrich von Diez, Pastellgemälde, 1791.
SBB-PK / Fotostelle. CC BY-NC-SA 4.0

Die Bibliothek Diez

Heinrich Friedrich von Diez (1751–1817) war eine der schillerndsten Figuren der deutschen Spätaufklärung und ein großer Bücherliebhaber. Der Jurist publizierte zunächst zahlreiche Schriften radikalaufklärerischen Inhalts, bevor er 1784 von Friedrich II. als preußischer Diplomat nach Konstantinopel entsandt wurde. Im Alter von 40 Jahren zog er sich als Privatgelehrter zurück und widmete sich nunmehr dem Studium der türkischen Literatur. Seine umfangreiche Büchersammlung ist eine der herausragenden Gelehrtenbibliotheken in der Staatsbibliothek zu Berlin. Sie umfasst etwa 17.000 Druckschriften sowie mehr als 800 abendländische und orientalische Handschriften.



Als sich der 33-jährige Heinrich Friedrich von Diez 1784 bei Friedrich dem Großen darum bewarb, preußischer Gesandter in Konstantinopel zu werden, war er in der Magdeburger Verwaltung tätig und sprach weder Französisch noch eine orientalische Sprache. Doch der Coup glückte – Friedrich II. war von Diez‘ imposanter Erscheinung und seiner Eloquenz so beeindruckt, dass er den Posten bekam. Sein sechsjähriger Aufenthalt in Konstantinopel sollte sein Leben grundlegend verändern. Der Aufklärer mit Lust an der Polemik, der sich für Philosophie, Pressefreiheit und Frauenrechte interessierte, tauchte in die fremde Welt nicht nur oberflächlich ein, sondern widmete sich mit Hingabe dem Studium der türkischen Literatur, Sprache und Kultur. Er baute eine imposante Bibliothek auf und plante die Edition und Übersetzung von Werken der in Europa unbekannten türkischen Literatur.

Diez wurde durch eigenes Erleben und intensives Studium zu einem bedeutenden Orient-Kenner seiner Zeit, der später, obwohl Autodidakt, sogar in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde.


Prominente Orientalia aus der Sammlung Diez

Die sogenannten Diez’schen Klebealben stellen eine bedeutende Quelle für die Geschichte der islamischen Malerei und Buchkunst dar. Die 430 Miniaturen und Zeichnungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind überwiegend den Malstilen der Mongolen und Timuriden zuzuordnen. Diez erwarb sie in Istanbul wahrscheinlich von Haremspersonal. Die ‚Diez-Alben‘ gehören zu den herausragenden Sammlungsstücken der Staatsbibliothek zu Berlin.




Zwei Mongolen beim Koranstudium, Miniatur aus einem der ‚Diez-Alben‘, 14./15. Jahrhundert. Zum Digitalisat

Ein weiteres bedeutendes Stück aus der Sammlung Diez ist ein Exemplar des sogenannten Atlas des Pīrī Raʾīs. Hierbei handelt es sich um einen Küstenatlas oder Portolan, der unter dem Admiral der Flotte des osmanischen Sultans Sulaimān entstand. Das Werk enthält 50 Karten, die das östliche Mittelmeer darstellen, darunter eine berühmte Ansicht von Istanbul. Der Atlas wurde wahrscheinlich 1521, ein Jahr vor der Eroberung der Insel Rhodos durch die Türken, verfasst und liegt hier in einer Abschrift aus dem 17. Jahrhundert vor.




Atlas des Pīrī Raʾīs, Abbildung von Istanbul und Skutari.

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Diez‘ Übersetzung des persischen Fürstenspiegels Qābūsnāma


Qābūsnāma, Papierhandschrift, Türkei, 1698. Zum Digitalisat

Das Qābūsnāma ist ein persischer Prinzenspiegel aus dem 11. Jahrhundert. Seine hier vorliegende osmanisch-türkische Übersetzung wurde von Diez ins Deutsche übertragen. Während seines Aufenthalts in Konstantinopel von 1784 bis 1790 erlernte Diez die türkische Sprache und erwarb zahlreiche wertvolle orientalische Handschriften.



Mit ‚Fürstenspiegel‘ werden literarisch-ethische Anleitungen zur gerechten Herrschaft bezeichnet, die vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit auch im europäischen Kulturkreis verbreitet waren.

Das Qābūsnāma ist ein Klassiker der persischen Fürstenspiegel, der seit dem 14. Jahrhundert auch in mehreren türkischen Übersetzungen existiert. Seine Besonderheit liegt darin, dass es hier der regierende Herrscher selbst ist, der seinem Sohn Gīlānšāh Ermahnungen und Ratschläge für eine weise Lebensführung und Herrschaft mit auf den Weg gibt.

Die osmanisch-türkische Handschrift von 1698 diente Diez als Vorlage für seine Erstübersetzung dieses Fürstenspiegels ins Deutsche. Er ließ sie 1811 „auf eigene Kosten“ unter dem Titel Buch des Kabus bei Nicolai in Berlin erscheinen. Diez‘ Übersetzung machte dieses klassische Werk der persischen Literatur in Europa bekannt. Er schuf damit zugleich eine wichtige Inspirationsquelle für Goethes West-Östlichen Divan, der zwischen 1814 und 1819 entstand.


Heinrich Friedrich von Diez: Buch des Kabus, Berlin, 1811.
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