11
Die Sammlungen Schoemann, Landberg, Sachau und Petermann
Die Zeit der großen Sammler
von Orientalia
Obwohl Literatur aus dem und über den ‚Orient‘ bereits zum Gründungsbestand der Churfürstlichen Bibliothek gehörte, setzte eine massive und systematische Erwerbung dieser Materialien erst im 19. Jahrhundert ein. Entscheidend hierfür waren die Etablierung der Orientalistik als akademische Disziplin und ein erwachendes, breites Interesse an den Kulturen Asiens und Afrikas. Zudem verfolgte die preußische Kulturpolitik das Ziel, das internationale Ansehen Berlins als Kultur- und Wissenschaftsstandort zu fördern. Ganze Bibliotheken, zahlreiche Ankäufe und Schenkungen von Gelehrten, Forschern und Diplomaten kamen ins Haus und schufen eine Sammlung von Weltrang, nach Paris und London die größte in Europa.
Die Königliche Bibliothek zu Berlin vermehrte ihre Sammlung orientalischer Handschriften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um ein Vielfaches. Der Bestand, der 1850 etwa 2.400 Bände umfasste, wuchs bis 1890 auf 13.000 Bände an. Die Ankäufe großer Handschriftenkonvolute, die Johann Gottfried Wetzstein, Julius Heinrich Petermann, Carl Schoemann, Eduard Sachau, Carlo von Landberg und andere zum Teil eigens für die Königliche Bibliothek erworben hatten, unterstrichen die internationalen Ambitionen Preußens. Die großen Sammlungen des 19. Jahrhunderts prägen den Berliner Bestand orientalischer Handschriften bis heute.
Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs besaß die Bibliothek über 19.370 orientalische Handschriften und damit nach Paris und London die größte Sammlung ihrer Art in Europa.
Eine Hochzeit mit überraschender Wendung
aus der Sammlung Schoemann
In dieser Handschrift wird die in Java weit verbreitete Romanze des Prinzen Jaya Kusuma in Versen erzählt. Illustriert ist der Band mit vielen Zeichnungen im zweidimensionalen Stil der Schattenpuppen, dem wayang kulit. Das Buch in javanischer Schrift und Sprache konnte gegen eine Gebühr für öffentliche Lesungen oder Feste ausgeliehen werden. Der Philologe Carl Schoemann (1806–1877) ging 1845 für sechs Jahre nach Java und legte dort eine Sammlung von fast 300 Handschriften in den verschiedensten Sprachen und Schriften des Archipels an, die die Königliche Bibliothek 1878 erwerben konnte.
Diese Handschrift aus der Sammlung Schoemann erzählt in farbenfrohen Bildern den legendären Krieg des Prinzen Panji gegen den König von Bali. Im zweiten Band wird die Prinzessin Kanistren (auf der Abbildung ganz links) gegen ihren Willen mit dem dicken Clown Prasanta (dritter von rechts) verheiratet. Die Ehe wird jedoch sehr glücklich, da der Clown in Wahrheit die Gottheit Sanghyang Tunggal ist. Das Manuskript mit den beliebten Geschichten wurde ausgiebig ausgeliehen – darauf lässt ihr abgenutzter Zustand schließen.
Aus Syrien und Ägypten an die Spree:
Die Sammlung Landberg
Dalāʾil al-ḫairāt (etwa: Leitfaden zum gottgefälligen Handeln) des marokkanischen Mystikers Muḥammad al-Ǧazūlī (gest. 1465): Das in weiten Teilen der islamischen Welt äußerst populäre Buch enthält Gebete, die dem Propheten Muhammad gewidmet sind. In den meisten Ausgaben finden sich auf einer Doppelseite Abbildungen der Heiligen Stätten in Medina und Mekka. Die Handschrift gehört zu einer Sammlung von 1.052 arabischen Manuskripten, die der schwedische Orientalist Carlo von Landberg (1848–1924) in Syrien und Ägypten gesammelt hatte und die 1884 von der Königliche Bibliothek erworben wurden.
Zu sehen ist Blatt 9v mit einer Ansicht dreier Gräber, bei denen es sich der Beschriftung zufolge um die Gräber des Propheten Muḥammad, des ersten Kalifen, Muḥammads Schwiegervater Abū Bakr, und des zweiten Kalifen ʿUmar Ibn al-Ḫaṭṭāb handelt. Die Gräber befinden sich in der Prophetenmoschee in Medina..
Die Sammlung überwiegend arabischer Werke, die von Carlo von Landberg zusammengetragen wurde, ist bis heute mit der Signatur „Landberg“ gekennzeichnet.
Die Handschriften weisen eine ungeheure Bandbreite auf. Zu kufischen Koranfragmenten aus der Frühzeit des Islams und prächtig illuminierten Spitzenstücken aus dem 7. Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung (Hidschra) gesellen sich zahlreiche Gebrauchshandschriften, die die Vielfalt der islamischen Lehrtraditionen repräsentieren.
Ein Schatz syrisch-christlicher Handschriftentradition:
Die Sammlung Sachau
Diese handliche Reisebibel wurde nach einer Notiz des Schreibers im Kloster Mor Ḥananyo bei Mardin im Jahre 1842 für den Diakon Abbō aus Mossul angefertigt. Sie wurde in syrischer Serto-Schrift geschrieben und enthält das Buch der Psalmen und weitere Gebete und Gesänge.
Die Handschrift gehört zur Sammlung des bedeutenden Orientalisten Eduard Sachau (1845–1930), dem der wichtigste Bestand syrisch-christlicher Handschriften an der Berliner Staatsbibliothek zu verdanken ist.
Eduard Sachau wurde 1876 in Berlin zum Professor für Orientalistik berufen und leitete dort ab 1887 auch das Seminar für Orientalische Sprachen. Sein Name ist mit der bedeutenden Sammlung von 390 syrisch-christlichen Handschriften verbunden, die 1884 durch ihn in die Bibliothek kamen. Besondere Stücke sind zum Beispiel alte Bibelhandschriften auf Pergament, die großen Sammlungen kirchlicher Poesie aus dem Gebirge Tur Abdin in der heutigen Türkei oder ein Prachtevangeliar aus dem 13. Jahrhundert.
Das Ergebnis einer Orientreise:
Die Sammlung Petermann
Die undatierte äthiopische Pergamenthandschrift stammt vermutlich aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. Sie enthält zwei Chroniken: Zena Aihud (Geschichte der Juden) und eine Weltchronik von Adam bis zum Aufkommen des Islam, die sogenannte Chronik des Walda Amid, des Ägypters. Dieses Manuskript ist Teil der Sammlung des Berliner Orientalistikprofessors Julius Heinrich Petermann (1801–1876), die 1.506 Handschriften umfasst und ab Mitte des 19. Jahrhunderts ins Haus gelangte.
Aufgeschlagen ist Blatt 73r, der Beginn der Chronik des Walda Amid.
Julius Heinrich Petermann unternahm im Auftrag von König Friedrich Wilhelm IV. 1852 eine ausgedehnte Orientreise, unter anderem um Handschriften für die Königliche Bibliothek zu erwerben. Sein Weg führte ihn über Konstantinopel bis nach Damaskus, Kairo, Jerusalem und Isfahan. Seine lebhaften und detaillierten Eindrücke legte er 1860/61 in dem zweibändigen Reisebericht Reisen im Orient nieder. Darin beschrieb er auch seine Suche nach Handschriften und die Schwierigkeiten bei deren Ankauf. Über ihn kamen persische, arabische, armenische, syrische und äthiopische Handschriften nach Berlin.